Rückblick
16. November, Hof, Klangmanufaktur
Zum achten Mal lud das Projekt „music4cellos“ (*) zu Cellotagen. Verstärkt hatten sich die vier „Evangcellisten“ um Markus Jung mit dem leidenschaftlichen Alejandro (*) Castro-Balbi, der das Festival nicht nur mit einem Kammerabend eröffnete, sondern ihm auch eine „Masterclass“ beitrug. Neben ihm sorgte beim Schlusskonzert ein unangekündigter Gast aufwühlend für Wirbel.

 

 

Quartett zu fünft

Zum achten Mal lud das Projekt „music4cellos“(*) zum Festival nach Hof. Verstärkt hatten sich die vier „Evangcellisten“ um Markus Jung mit dem leidenschaftlichen Alejandro (*) Castro-Balbi. Beim Schlusskonzert sorgte obendrein ein „Überraschungs“-Gast aufwühlend für Wirbel.

Ensembleleiter (*) Markus Jung, Sebastian Chong, Hanno Riehmann, Lukas Dihle (von rechts): Akkurate Gewichtsverteilung. (Fotos: thu)

 

Von Michael Thumser

Hof, 16. November 2024 - Vier ist die magische Zahl, zumindest in der Musik. Einst galt eine zunftgerecht verfertigte vierstimmige Fuge als Ausweis des ausgelernten Tonsetzers, noch immer, und geradezu sprichwörtlich, firmiert das Streichquartett als „Königsdisziplin der Kammermusik“. Letzterer gehören auch die vier „Evangcellisten“ des Projekts „music4cellos“ (*) zu. Die magische Ziffer – four statt for – prangt sogar in der Mitte ihres Ensemblenamens. Aber nur als tenorales Kleeblatt tiefergelegter Saitenmusik sind sie sich nicht genug: Vor gut einem Jahr, als sie im Selber Rosenthal-Theater ihr fünfzehntes Jubiläum feierten, verstärkten sie sich mit etlichen Spiel-Gefährten, bis sie zu zehnt auf der Bühne saßen.

Alejandro (*) Castro-Balbi: Mit Seele und Leib sinnlich, lechzend, lüstern.

 

    Diesmal waren sie zu fünft, immerhin. Beim Schlusskonzert der von ihnen ausgerichteten Hofer Cellotage (*) gesellte sich den Herren Dihle und Riehmann, Chong und Jung von Fall zu Fall Alexandre Castro-Balbi zu. Zwei Tage zuvor hatte der Franzose mit lateinamerikanischem Familienhintergrund mit dem Briten William Shaw als Klavierpartner die achte Auflage des Festivals eröffnet und tags darauf dem mehrteiligen Kursprogramm eine achtstündige „Masterclass“ beigetragen. Jetzt, am letzten Abend, sitzt er wie ein Primarius links außen bei den anderen, um das Publikum in der gut besuchten Klangmanufaktur mit veritablen Schmachtfetzen des italienischen Musiktheaters gefühlig und gefügig zu machen: Bei Arien-Adaptionen nach Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini vermischen die fünf schimmernden Schmelz und schmackhaftes Schmalz und hüllen das Ganze stilvoll ins Gewebe ihres seidig-soliden Zusammenklangs.

     Ob zu viert, ob im Fünferpack: Wer schon Konzerte des durch ganz Deutschland tourende Ensembles um den Hofer Markus Jung erlebt hat oder es von seinen CDs kennt, der weiß, dass es seit jeher eine Vorliebe fürs Musiktheater hegt, wobei es auf menschlichen Gesang sehr gut verzichten kann. Auch diesmal umgarnt die Hörenden mit George Gershwins „Summertime“ aus „Porgy and Bess“ ein melancholisches Schlummerlied. Aus George Bizets „Carmen“ haben sie nicht nur die „Aragonaise“ im Programm, sondern ebenso die „Schmugglerszene“; dabei scheuen sie sich nicht, erst einmal vollblütig die Klischees iberischer ‚Rassigkeit‘ zu bedienen, bevor sie sich, umso heimlicher, auf Schleichwege begeben, um schließlich in Tumult auszubrechen: Briganten auf der Flucht.

„Blaue Augen“

Wie überlegt und akkurat sie untereinander die klanglichen und expressiven Gewichte verteilen, wie fein sie ihre Impulsivität abwägen, wie zartbesaitet sie Nuancen schattieren, das lässt bei etlichen Arrangements aufhorchen. Etwa in einer Bearbeitung der „Zwei blauen Augen“ aus Gustav Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“: Vagabundierend zwischen Dur und Moll, halten sie sich absichtsvoll vieldeutig zwischen Sehnsucht, süßem Weltschmerz und unverfälschter Tragik auf und verklären die Unbestimmbarkeit der Stimmung mit dem jenseitigen Wohllaut der „Lindenbaum“-Episode. Am Beispiel von Paul Desmonds und Dave Brubecks Jazzstandard „Take five“ führen sie überdies vor, wie mühelos ihnen auch heikle Austauschaktionen in der Melodieführung glücken.

Harald Oeler: "Native speaker" des Tangos.

     Originalwerke für vier Celli sind rar. Ensembleleiter Jung selbst trug dem Repertoire eine „Beduinische Karawane“ bei, die mit ironischem Exotismus durch den Saal trottet. Ausführlicher, weil viersätzig, das gleichwohl kurze, vortreffliche Quartett des Berliners Friedrich Metzler aus dem Jahr 1954: Durch die Sachlich- und Ruppigkeit des ersten Satzes lassen die Künstler zunächst an die Tonsprache etwa Paul Hindemiths denken, um dann den zweiten deutlich verschwiegener, dennoch mit Nachdruck zu passieren; wie eine Stampede stürmen sie durch den dritten Teil, nach dessen trotzigem Schluss sie die Wucht im Finale gleichsam klassizistisch dämpfen - ein kompaktes Werk, dessen apart sich ablösende Erscheinungsbilder sie wie einen Mikrokosmos gewitzt durchstreifen.

     Quartett zu fünft: Wer mit Alejandro (*) Castro-Balbi einen Kollegen im Boot weiß, in dem ein Gutteil südamerikanisches Blut fließt, der nutzt gern die Gelegenheit, mit ihm zusammen die Leidenschaft des Tangos zu entfesseln. Während dreier Musterexemplare wirft er sich denn auch mit Seele und Leib sinnlich, lechzend, lüstern ins Zeug. Obendrein verleiht der sagenhafte Harald Oeler, zu Recht als „Überraschung“ angekündigt, den Tänzen erst eigentlich ihre bezeichnend passionierte Physiognomie: Buchstäblich gebunden an sein artistisch beherrschtes, mit Tiefensentiment atmendes Knopfakkordeon, ist er sozusagen ein native speaker des Tangos, dem er im dritten Satz aus Richard Gallianos grandiosem „Opale Concerto“ ebenso unnachgiebig heftig wie weltabgewandt melancholisch eine hinreißende Apotheose beschert.

     Quartett zu - wievielt? Magische Zahlen: Die Sechs ist die neue Vier.

■ „music4cellos“ im Internet: hier lang.

 

- Michael Thumser für Hof, Hochfranken-Feuilleton, 16. November 2024 (online)

 

 

 

Hier geht es zum HOCHFRANKEN-FEUILLETON: https://www.hochfranken-feuilleton.de

 

 

 

Anmerkungen:

- Markus Jung ist nicht Ensembleleiter von projects4cellos / Die Vier EvangCellisten

- "music4cellos" war der Programmtitel des Abschlusskonzertes von projects4cellos

- "Alejandro" heisst Alexandre Castro-Balbi

- "thu" steht für den Kritiker und Fotografen MichaelThumser vom Hochfranken-Feuilleton

- die "Hofer Cellotage" sind seit 2022 eine Veranstaltung der Hofer Symphoniker; das Ensemble unterstützt allerdings weiterhin tatkräftig die "Hofer Cellotage", da projects4cellos / Die Vier EvangCellisten Mitbegründer des seit 2013 existierenden Musikfestivals sind

 

 

 

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